Wer sind die »Venetianer«?

Aus dem Schwazer Bergbuch von 1556

Venetianer oder Walen (andere Bezeichnungen auch Walhen, Wahlen, Wälsche oder Welsche, Venedigermandln, Vennizianer, Venediger) sind in der Überlieferung Fremde, die nach Erzen und Mineralien suchten. Oft ging es hierbei um Gold, oft aber auch um Mineralien, die zur Glasherstellung benötigt wurden. Wegen ihrer fremden Sprache und ihres für Einheimische meist unverständlichen Tuns in den Bergen haben sie in ganz Mitteleuropa zur Sagenbildung angeregt. Häufig wurden ihnen auch magische Kenntnisse und Eigenschaften zugeschrieben.

Mit Venetianer sind häufig Leute aus Venedig gemeint, einem damaligen bekannten Zentrum der Gold- und Silberschmiederei, der Edelsteinschleiferei und der Glasherstellung. Walen ist eine eher allgemeinere Bezeichnung und leitet sich von Welsche — Ausländer, der eine fremde Sprache spricht — ab.

Speziell kobaltblaues Glas war im Mittelalter in Europa sehr selten, entsprechend begehrt und auch teuer. Es wurde meist über Venedig aus Konstantinopel importiert und deswegen auch byzantinisches Glas genannt. Neuzeitliche chemische Analysen solcher blauen Gläser ergaben einen charakteristisch hohen Wismut-Gehalt, der sich nur mit Vorkommen in Deutschland, Schneeberg im Erzgebirge und dem Schwarzwälder Kinzigtal, deckt.

Zum Zeitpunkt des frühen Auftretens von blauem Glas, — und noch lange danach — ist in den genannten Gebieten aber gar kein groß angelegter Bergbau nachweisbar. (Tatsächlich waren Kobalterze im Bergbau auf Silber unbeliebt. Sie minderten den Ertrag und galten als "verhext".) Dennoch muss es Menschen gegeben haben, die diese Vorkommen und den Wert der Erze kannten. Um 1400 wurde ein azurro della Magna, also ein Blau aus Deutschland, erwähnt, das auf unklare Weise mit dem Silberbergbau zu tun hatte. Es erhielt den deutschen Namen smalto, was soviel wie Schmelzfarbe bedeutet. Im Laufe des 15. Jahrhunderts wurden die wichtigsten Kobaltvorkommen aber allgemein bekannt und es musste nicht mehr besonders danach gesucht werden.

Anders der manganhaltige Braunstein: Er wurde besonders für die Entfärbung des berühmten Venezianer Spiegelglases benötigt. Noch zu Beginn des 16. Jahrhunderts besaß Venedig praktisch das Monopol auf diese Technik und den Glasbläsern von Murano war es bei Todesstrafe verboten, das Geheimnis preiszugeben.

Erwähnt werden Walen im 1523 gedruckten Joachimsthaler Bergbüchlein. Dort beklagt sich Hans Rudhardt in einem Vers, dass die Walen große Burde und Huck aus Deutschland davontragen. 1542 schreibt Caspar Bruschius in seiner historisch-geographischen Beschreibung des Fichtelgebirges von Wahlen und Venedigern (neben Spaniern und Zigainern). Auch er bemängelt, dass diese fremden landkundtschaffter die Bodenschätze Deutschlands besser kennen, als die Einheimischen selbst und große Schätze mit sich davon führen.

1453 hatten die Osmanen Konstantinopel erobert. Damit waren auch die damalige Wirtschaft wichtigen Alaunlagerstätten bei Phokaia (Kleinasien, an der Küste des Ägäischen Meeres) in ihre Hände gefallen. Aber schon 1459 wurde neue Lagerstätten bei Toifa (in der Region Latium bei Rom) entdeckt und durch den Kirchenstaat monopolisiert. Toifa wurde mit zeitweise 6.000 Bergarbeitern zur größten Bergbauunternehmung des Abendlandes. Doch durch Funde im anderweitigen Europa geriet das Monopol recht schnell ins Wanken. Der Papst ließ daraufhin italienische Fachleute anheuern, die solche Konkurrenz auskundschaften, aufkaufen oder anderweitig ausschalten sollten. Auch finanzkräftige Investoren wie die Fugger warben Spezialisten zum Zweck der gezielten Suche nach Bodenschätzen an.

Für die einheimische Bevölkerung dürften diese Spezialisten nicht von anderen Venetianern zu unterscheiden gewesen sein.

1595 werden in der Schrift Bergkwercks-Geschöpff neben Landfahrern auch fahrende Schüler als Goldwäscher erwähnt. Das deutet auf Personen mit wenigstens teilweisen akademischen (alchemistischen?) Kenntnissen hin. Neben durchsichtigen Sand und Körner zu schönen Schmelzgläsern sollen sie auch nach Talch (spezieller Ton?) gesucht haben. Sowie nach Edelsteine und Perlen.

Eine Sammlung von Berichten über Walen erschien 1764. Die Sammlung hat eine insgesamt negative Tendenz, verdächtigt die Walen der "Teufelsbündnerei" und macht sie auch für einen Mord von 1514 in Annaberg verantwortlich.

Es gibt Hinweise darauf, daß italienische Erzsucher noch bis in die ersten Jahrzehnte des 19. Jh. über die Alpen kamen. Allerdings wurden diese Einzelgänger durch die rasante Professionalisierung des Bergbaues immer rascher bedeutungslos.

Präsent blieben die Walen/Venetianer auch durch die sog. Walenbücher. Bei diesen Büchern soll es sich um geheime Aufzeichnungen mit Hinweisen auf verborgene Schätze handeln. Möglicherweise handelt es sich aber auch um blanke Fälschungen, die gutgläubigen Zeitgenossen für viel Geld angedreht wurden.

In den Volkssagen treten die landfremden Venetianer meist als Einzelgänger oder in kleinen Gruppen, oft zu dritt, die bei Einheimischen um Quartier bitten oder ihnen zufällig in den Bergen begegnen, auf. Sie tauchen genauso überraschend, meist um den Johannistag (24. Juni), auf wie sie auch wieder verschwinden. Manche kommen dann aber oft viele Jahre hintereinander zurück. Sie werden als klein und dunkelhaarig geschildert, reden untereinander oft in einer unverständliches Sprache. Manchmal bringen sie aus ihrer Heimat Kräuter oder andere Waren mit. In Wirklichkeit verstehen sie sich aber vor allem auf das Auffinden und Schmelzen von Erz sowie auf die Probier- und Scheidekunst (Bestimmung des Erzgehaltes einer Probe). Obwohl sie anscheinend nur gewöhnliche Kiesel, Sand oder Erde sammeln und mit kleinen Hämmern auf normalem Stein herumklopfen ist es für jedermann klar, dass es sich dabei in Wirklichkeit um Gold, Silber, Perlen und Edelsteine handeln muss, die die Einheimischen nur nicht als solche erkennen können. Zwar wird ihnen mitunter nachgesagt, daß sie ihr Wissen nur vom Teufel erhalten haben können, auf schwarze Magie seien sie aber nur selten angewiesen. Vielmehr würden sie die weiße Magie beherrschen und so auch mit Ungeheuern und Geistern fertig werden oder sich unsichtbar machen können.

Offizielle Quellen mißtrauen den Venetianern. Sie werfen sie oft mit Dieben und fahrendem Volk in einen Topf. Vermutlich auch deswegen, weil sie das Bergregal mißachten und auf ihre Funde keine Steuern und Abgaben zahlen. Sagen hingegen berichten häufig von den fürstlichen Belohnungen für hilfreiche Einheimische.

Ein häufiges, oft abgewandeltes Motiv ist die Reise eines Einheimischen nach Venedig, wo er wieder auf einen ihm bekannten Venetianer trifft.

Der Venetianer

Ein Wale kam alljährlich in das Lauchatal, der wußte, daß das Sprichwort wahr sei, das am Inselberge üblich ist: Es wirft oft ein Hirte mit einem Stein nach der Kuh, der mehr wert ist als die Kuh selbst. Ein junger Bursch aus Cabarz oder Tabarz mußte dem Walen als Führer dienen, der wurde hernachmals, da der Venetianer längst nicht mehr kam, ein Fuhrmann und kam weit in der Welt herum, einmal sogar mit Gütern bis nach Venedig. Da fiel ihm ein Kaufladen in das Auge, darin blitzte und funkelte an einem Schaufenster alles von Gold und Edelsteinen, und wohnte da ein reicher Juwelier. Dieser sah den Thüringer stehen und gaffen und grüßte ihn in deutscher Sprache und war kein anderer als jener Gold- und Steinsucher, den er früher im Gebirge geleitet, der sagte ihm, all dieses Gold und alle diese Steine habe er in dem schönen Thüringen gewonnen, die Thüringer verständen nicht, es auch zu finden und die Steine zu schleifen, man finde dort nur ungeschliffene. Mit reichem Geschenk entließ der Venetianer den Thüringer. Ähnliche Sagen werden viele erzählt; eine fast gleichlautende auch vom Bayerberg vor der Rhön.

Manchmal wird der Einheimische auch während des Schlafes, durch die Luft im Sturm, durch Tunnel im Gebirge, nach Venedig entrückt. Hatte der Besucher dem Venetianer zuvor geholfen, dann wird er fürstlich bewirtet und reich beschenkt. Hatte er ihm Schaden zugefügt so wird er trotzdem bewirtet, und erstaunlich oft wird ihm seine Untat verziehen, nachdem er sich ehrliche reuig gezeigt hat. Manchmal sind bei der Rückkehr in die Heimat schon viele Jahre oder Jahrhunderte vergangen, während der Besucher glaubte, nur kurze Zeit in Venedig verbracht zu haben.

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