Geritzte Fernbreitenbacher Dorfgeschichte an der Empore der Heilig-Geist-Kirche

In einen Balken der ersten Empore wurden Initialen und Jahreszahlen vor gut 270 Jahren vermutlich vom Sitzplatzbesitzer eingeritzt. Foto: Jensen Zlotowicz

Fernbreitenbach. Hier sitzen die, die immer hier sitzen – was in einen Balken der Fernbreitenbacher Kirchenempore geritzte Zeichen erzählen könnten.

Sich auf Brettern oder Balken in Kirchen, allen voran an Sitzbänken, namentlich zu verewigen hat lange Tradition. In zahlreichen Gotteshäusern im Wartburgkreis lassen sich solche Zeichen entdecken, oft Initialen, aber auch komplette Namen und dazugehörige Datumsangaben. Die meisten „Langeweile-Gravuren“ stammen aus der jüngeren Vergangenheit, aus den vergangenen Jahrzehnten oder auch mal aus der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts. Ältere Zeitzeugnisse dieser Art sind selten.

Die Initialen und Jahreszahlen, die sich von einem Balken der ersten Empore der Heilig-Geist-Kirche in Fernbreitenbach ablesen lassen, wurden allerdings zu einer Zeit eingeritzt als Benedikt XIV. Papst war, Johann Sebastian Bach noch lebte, Ernst August I. das damals noch junge Fürstentum Sachsen-Weimar-Eisenach im Stil des Absolutismus regierte und der österreichische Erbfolgekrieg in vollem Gange war. Der Neubau der Kirche entstand um 1698.

Die erste Empore war den Männern vorbehalten

Unter den miteinander verwobenen Buchstaben HRAS – von einem floralen Ornament umschlungen – sind eng nebeneinander neun Jahreszahlen zwischen 1743 und 1756 verewigt. Dass dieser alte Empore-Balken ein Stück Dorfgeschichte abbildet, die aber Rätsel aufgibt, ist erstaunlich, sagt auch Fernbreitenbachs ehemaliger Pfarrer Reinhard Höfling.

Dass diese ungewöhnlich alten Überlieferungen den Fernbreitenbacher Kirchgängern nicht eher aufgefallen waren, lag wohl an ihrer Sichtbarkeit. Erst durch einen hellen Anstrich des Balkens fällt diese historische Hinterlassenschaft eines Dorfbewohners erst ins Auge.

Dass sich ein männlicher Kirchgänger an dieser Stelle verewigt hat, macht Pfarrer Höfling daran fest, dass lange Zeit die erste Empore den Männern vorbehalten war. Unten saßen die Frauen. Auch für die Wiederholung von Jahreszahlen in stetiger Reihenfolge hat Reinhard Höfling eine These.

Sitzplätze in der Kirche seien damals an eine oder mehrere Familien verkauft worden. In anderen Kirchen wurde deshalb sogar Namensschilder angebracht. Möglicherweise stammen die Initialen von den Sitzplatzbesitzern H/R/A/S.

Aus kunsthistorischer Sicht ist diese Hinterlassenschaft freilich marginal. Anders sieht das bei der 2010 zufällig entdeckten und bis 2017 freigelegten und retuschierten Ausmalung des Kirchenschiffs aus. Vielfach wurde über diesen bemerkenswerten Fund, der vermutlich aus dem 14. Jahrhundert stammt und damit älter als der Elisabeth-Zyklus der Liborius-Kapelle in Creuzburg wäre, berichtet. Nur eine kunsthistorische Untersuchung könnte die Bedeutung der freigelegten Figuren und Bildnisse aufzeigen. Seit Abschluss der Restaurierung der Wandmalereien ruht still der See um diesen bedeutenden Fund in einer an sich schlichten Dorfkirche.

Bei der Untersuchung der früheren Sakristei, ein barocker Holzbau in der Art eines Beichtstuhls, blieb es bei Farbbefunden durch den Restaurator. Pfarrer Höfling liebäugelt auch hier mit einem Fortschritt, mehr aber noch, dass die Wandmalereien im Zuge einer Bachelor- oder Masterarbeit von einem Kunstfachmann untersucht werden.

Dieser Artikel wurde von Jensen Zlotowicz am 21. Juli 2022 in der Thüringischen Landeszeitung (TLZ) veröffentlicht. Da ich ihn so gut und vor allem auch interessant fand, habe ich ihn frecherweise komplett übernommen. Man möge mir verzeihen.

Im Artikel befindet sich auch eine kleine verzeihliche Ungenauigkeit, die seinen grundsätzlichen Wert allerdings nicht im geringsten schmälert: Die Kirche erhielt ihre wesentliche heutige Gestalt durch den Neubau des Langhauses im Jahre 1698. Der Chor der Kirche wurde von einem Vorgängerbau aus dem 14. Jahrhundert übernommen.

Bei den bis 2018 freigelegten und restaurierten vorreformatorischen Fresken, die unter mehreren Farbschichten verborgen waren, handelt es sich um Sterne, Flammen, Blüten und, nur noch zum Teil erkennbar, die Symbole der Evangelisten — ein Engel für Matthäus, ein Adler für Johannes, ein Stein für Lucas und ein Löwe für Markus — im Gewölbe des Chores. An den Wänden haben sich Darstellungen von Heiligen, möglicherweise den vierzehn Nothelfern, sowie ein Schiff und eine Stadt erhalten. In den Fenstergewänden finden sich die Heiligen Bonifatius, Sebastian, Leonhard, Antonius sowie zwei weitere, nicht erkennbare Figuren.

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