Die Wilde Jagd

Ausschnitt aus Asgårdsreien, Peter Nicolai Arbo, 1872

Die Wilde Jagd (das Wilde Heer, die Wilde Fahrt) ist der Name einer weit verbreiteten im Ursprung vorchristlichen variantenreichen Volkssage, die sich auf übernatürliche Jäger bezieht, die durch den Himmel jagen. Die Sichtung dieser Jagd kann, abhängig von der regionalen Variante, verschiedene Folgen haben, bedeutet aber meist nichts Gutes. Häufig wird sie für Kriege, Dürren oder auch Epidemien verantwortlich gemacht.

Die Geschichte der Wilden Jagd ist uralt. Eine der frühesten Erzählungen datiert auf das Jahr 1091 und stammt von dem normannischen Priester Gauchelin. Im Rolandslied (um 1100) geht es um ein wôtigez her wobei nicht ganz klar ist, ob sich das tatsächlich auf die Wilde Jagd bezieht. Von Renward Cysat (* 1545, † 1614), Stadtschreiber in Luzern, gibt es einen längeren Bericht über Vorstellungen vom Guotisheer oder Wuotinshör. Im Jahre 1519 wurde eine Frau aus dem Emmental (Berner Mittelland, Schweiz) vertrieben weil sie aussagte, mit frow Selden und dem Wúetisher einherzufahren. In der Zimmerischen Chronik (Mitte des 16. Jahrhunderts) werden mehrere Erscheinungen des Wuteshere sehr detailliert dargestellt. In den Legenden zur Wilden Jagd vermischen sich vorchristliche (heidnische), christliche und auch moderne Erzählungen zu einer interessanten Symbiose.

Besonders häufig zieht die Wilde Jagd in den Rauhnächten zwischen Weihnachten und dem Dreikönigstag (Hochneujahr, zwischen den Jahren) durch die Lüfte. Im Laufe der Zeit haben die christlichen Termine die ursprünglich heidnischen Daten überlagert, auch dürfte die gregorianische Kalenderreform für Verschiebungen gesorgt haben. Vorher waren es die Wintersonnenwende (21. Dezember) sowie die folgenden zwölf Nächte. Als wichtigste Rauhnächte gelten die Thomasnacht (20./21. Dezember), der Heilige Abend (24./25. Dezember), die Silvesternacht und die Nacht vom 5. zum 6. Januar.

(Auch der Schweinaer Fackelbrand als ursprüngliches Sonnenwend-Feuer dürfte sich im Laufe der Zeit vom 21. auf den 24. Dezember verschoben haben.)

Der Geisterzug zieht unter fürchterlichem Lärm, Gerassel, Schreien, Johlen, Heulen, Jammern, Ächzen und Stöhnen durch die Luft. Manchmal soll auch liebliche Musik zu hören sein — was dann ausnahmsweise als gutes Omen gedeutet wird.

Der Zug besteht aus den Seelen der Männer, Frauen und Kinder, die "vor ihrer Zeit" gestorben sind, also meist eines gewaltsamen oder unglücklichen Todes starben und deren arme Seelen im Innern des Hörselberges im Fegefeuer gereinigt werden. Manchmal sollen auch Menschen, die den Zug beobachteten, mitgezogen worden sein.

Auch wenn die Wilde Jagd dem Menschen gegenüber eher nicht feindlich gesinnt ist, so wird doch geraten, sich auf den Boden zu werfen oder sich im Haus einzuschließen. Auch ist auf jeden Fall davon abzuraten, den Zug zu verspotten oder gar zu provozieren. Auch wer absichtlich aus dem Fenster sieht um das Heer zu beobachten,  muß damit rechnen, daß ihm der Kopf so anschwillt, daß er ihn nicht mehr zurückziehen kann.

Manchmal wird der Zug von einem Vorreiter oder Warner angeführt. Wegen seiner engen Verbindungen zum Venusberg (Hörselberg) kommt diese Rolle in Thüringen oft dem Getreuen Eckardt zu, der die Menschen ermahnt, zur Seite zu treten und die Augen zu schließen.

Wie schon erwähnt können auch Frauen Teilnehmer der Jagd sein. Wegen der ihr ebenfalls nachgesagten engen Verbindung zum Hörselberg spielt hier die Frau Holle (Frau Hulda) eine besondere Rolle. (Die Sagengestalt der Frau Holle/Hulda geht vermutlich auf die altgermanische Göttin Freya zurück.)

Der Wilde Jäger tritt manchmal auch alleine auf.

Teilweise bis heute hat sich die Ansicht gehalten, daß es nicht gut wäre, zwischen Weihnachten und Neujahr Wäsche zu waschen bzw. aufzuhängen, weil dies den Tod nach sich ziehen könne. Dahinter steckt der Glaube, die Wilde Jagd könnte sich in der Wäsche verfangen bzw. die Wäsche rauben und später zum Leichentuch werden lassen. Nähen oder Spinnen, den Stall auszumisten oder Kehrricht zusammen fegen – auch dass durfte früher nicht sein. Sämtliche sämtliche Träume in den Rauhnächte sollen in Erfüllung gehen. Auch sollen nach altem Glauben die Tiere im Stall um Mitternacht mancher Raunächte sprechen und von der Zukunft erzählen. Ebenso gibt es in Sachen Partnersuche zahlreiche Überlieferungen: So schleuderten die Mädchen ihren Hausschuh hinter sich. Zeigte die Spitze zur Tür, so ging es demnächst hinaus.

Die Erzählung von der Wilden Jagd wirkt bis in die heutige Zeit fort:

Im Roman Frau Holda Waldina die wilde Jägerin (1805) von Christian August Vulpius, Goethes Schwager und Bestseller-Autor seiner Zeit, erscheint Frau Holda als Anführerin der Wilden Jagd, die während der Zwölf Weihnachtstage mit ihrem Heer im Gefolge die Wälder durchstreift und einen Ritter namens Adelbert verführen will. Der Treue Eckart geht hier Frau Holda und ihrem Heer voraus und warnt die Menschen. Theodor Körner verfasste 1813 das Lied Lützows wilde verwegene Jagd in Bezug auf das Lützowsche Freikorps. Er suchte nach einer deutschen nationalen Identität und griff dafür deutlich Motive der sagenhaften Wilden Jagd auf. In Heinrich Heines Versepos Atta Troll (1841) beobachtet der Erzähler die Wilde Jagd beim Durchzug durch die Pyrenäen, wobei ihm in dem Zug unter anderem die Dichter Johann Wolfgang von Goethe und William Shakespeare als Teilnehmer auffallen. Die Wilde Jagd dient hier als eine Art heiteres, lebenslustiges Gegenbild zu den erstarrten Verhältnissen in Deutschland zur Zeit des Vormärz. In der Hexer-Saga von Andrzej Sapkowski spielt die Wilde Jagd eine bedeutende Rolle, entsprechend auch in der Netflix Serie The Witcher. Die französische Krimiautorin Fred Vargas entfaltet die zeitgenössische Handlung von L’armée furieuse (2011) vor dem Hintergrund dieses Mythos. Der englische Thriller-Autor Adam Nevill verknüpft in seinem Roman The Ritual (2011) Motive der Wilden Jagd mit dem Ursprungsmythos des Julbocks und zeitgenössischem skandinavischem Black Metal. Eine zentrale Rolle spielt die Figur der Huldra (Holda) in dem im nördlichen Norwegen angesiedelten Roman A summer of drowning (dt. In hellen Sommernächten, 2012) des schottischen Schriftstellers John Burnside. Der 2018 erschienene Roman Das Erbe der Rauhnacht von Birgit Jaeckel verknüpft die Legenden über Perchta und die Wilde Jagd mit Knecht Ruprecht und Krampus. Im Günter Kriegers Erzählung Der Hundemarquis von Merode (2018) möchten Einheimische einer alten Ortssage um einen Wilden Jäger auf den Grund gehen.

Die Vertonung von Körners Lützows wilde verwegene Jagd stammt von Carl Maria von Weber aus dem Jahr 1816. 1821 veröffentlichte er seine Oper Der Freischütz, in deren zweiten Akt in der Wolfsschluchtszene bei der Segnung der Freikugeln das Wilde Heer erscheint. Die achte Etüde der Etudes d’exécution transcendante (zw. 1826-1851/52) von Franz Liszt trägt nach diesem Mythos den Namen Wilde Jagd. Im Josef Rheinbergers Oratorium Christoforus (1880) wird das Thema ebenfalls aufgegriffen; hier wird die Jagd von Satan persönlich angeführt. Der Western-Song (Ghost) Riders in the Sky von Stan Jones aus dem Jahr 1948 versetzt den Mythos von der Wilden Jagd ins Cowboy-Milieu. Die Wilde Jagd erfährt unter verschiedenen Bezeichnungen und Darstellungen eine starke Rezeption in den Metal-Subkulturen. Vor allem im Bereich des Black- und Pagan Metals sind die Bezüge in Bandnamen, Album- und Songtiteln sowie  Coverdarstellungen verbreitet. 2021 veröffentlichte Versengold das Lied Die wilde Jagd, in dem die wilde Jagd vom Hörselberg aus startet.

In der 6. Staffel (2017) der MTV-Serie Teen Wolf spielt die Wilde Jagd eine besondere Rolle. Hierbei werden sie als Reiter und Herrscher des Sturms dargestellt, welche Menschen entführen und sie aus den Erinnerungen ihrer Angehörigen und Freunde löschen, wodurch sie augenscheinlich für immer verloren sind, jedoch immer eine Art Erinnerungsstück zurücklassen.

Die Wilde Jagd taucht in mehreren Videospielen auf, so etwa in der Reihe The Witcher, im Add-on Bloodmoon des Computerspiels Morrowind, im Nachfolger Skyrim und in Guild Wars 2.

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